Achte Rabbiner Brandt-Vorlesung

Die deutsche Mitgliedsorganisation des ICCJ, der Deutsche Koordinierungsrat (DKR) hat seine achte Rabbiner Brandt-Vorlesung in diesem Jahr am 10. November in München veranstaltet.

Aus Anlass des 80. Geburtstages von Rabbiner Henry G. Brandt haben Vorstand und Präsidium des Deutschen Koordinierungsrates eine jährlich stattfindende Rabbiner Brandt Vorlesung begründet. Sie soll der von ihm geforderten Klärung der Positionen im christlich-jüdischen Gespräch dienen. Die Vorlesung in München war die siebte und fand im Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde in München statt. Die Präsidentin der Gemeinde, Charlotte Knobloch, begrüßte das zahlreich erschienene Publikum und drückte ihre Bewunderung für Rabbiner Brandt und den Festredner des Abends, Kardinal Reinhard Marx, aus. Dr Abi Pitum als Vertreter der lokalen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und Mitglied der Gemeinde und des Vorstands des DKR, hieß die Anwesenden ebenso willkommen.

Kardinal Marx sprach über „Die Revolution der Biblischen Botschaft.“ Er begann seinen Vortrag mit einer Reflexion über die sogenannte „Kristallnacht“ und erinnerte an den deutschlandweiten Brand der Synagogen vor 76 Jahren. Der Nationalsozialismus sei der wohl radikalste Gegenentwurf zur biblischen Botschaft gewesen und ein direkter Angriff auf die Religion. Demzufolge stelle der Antisemitismus nicht nur ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar, sondern zerstöre auch die christliche Identität.
Weiterhin sprach er von einem neuen Verhältnis von Gott – Mensch –Welt, das mit der hebräischen Bibel in die Welt kam und einen radikalen Bruch mit den umgebenden Religionen darstellt. Der Mensch, jeder Mensch, ist in Gottes Ebenbild erschaffen. Diese Idee entwickelte er weiter und sprach von der Erfahrung des Exils, der Befreiung aus der Sklaverei, eine Erfahrung die deutlich mache, dass die Welt nicht so bleiben muss wie sie ist und von Menschen geändert werden kann. Freiheit im biblischen Sinne bedeute aber nicht nur Freiheit von Unterdrückung und Knechtschaft, sondern auch "positive Freiheit, die Freiheit zur Gestaltung eines humanen Zusammenlebens". Dieser Gedanke führte ihn zu dem „Neuen Denken“ des Sinais, d.h. mit dem Gesetz kam die Idee in die Welt, dass kein Mensch über einen anderen herrschen soll, dass das Gesetz die oberste Instanz sei. Die Sklaverei ist somit kein Unglück, sondern ein Unrecht. Erst wenn die Symbiose zwischen göttlicher und politischer Macht gebrochen ist, kann wahre Freiheit entstehen. Das ist die revolutionäre Bedeutung des Bundesschlusses. Eine Idee, die fast 2000 Jahre brauchte um in die Tat umgesetzt zu werden und dann nur in bestimmten Teilen der Welt.
Ebenso sprach der Kardinal über die Propheten und nannte sie die ersten Gesellschaftskritiker; an Gott zu glauben bedeutet eine kritische Haltung der politischen Macht gegenüber.
Am Ende des Vortrags wies er noch darauf hin, dass die Bibel nicht mit Abraham sondern mit Adam beginne; dieses nannte er eine theologische Entscheidung, deren Botschaft besage, dass alle Menschen im Ebenbild Gottes erschaffen seien und damit sei die Botschaft der Bibel eine universelle. Die biblische Botschaft habe eine kulturgeschichtliche Revolution eingeleitet, die bis heute wirksam ist, und die bereits zentrale Begriffe wie Menschenwürde, Person, Gewissen, Autonomie, Freiheit oder Gleichheit, die ohne die biblische Tradition nicht zu verstehen seien, enthalte. Kardinal Marx beendete seinen Vortrag mit der Aufforderung, dass es nun an uns, Christen und Juden sei, dies in die gesellschaftlichen und kulturellen Debatten einzubringen.

In seiner kurzen Dankesrede drückte Rabbiner Brandt seine große Dankbarkeit dafür aus, dass diese 8. Vorlesung in Münschen stattfinden könne, der Stadt, in der er geboren wurde und aus der seine Familie vor so vielen Jahren vertrieben wurde. Für ihn war dieser Abend wie eine Heimkehr, 76 Jahre und ein Tag nach der „Reichspogromnacht“.
Vladimir Gaba, Geige, and Viacheslav Dorokhov, Klavier, verliehen mit ihrer leidenschaftlich vorgetragenen Musik dem Abend einen festlichen Charakter.

v.l.n.r.: Dr Eva Schulz-Jander (Katholische DKR Präsidentin und Vertreterin des DKR im ICCJ), Dr Abi Pitum (DKR Vorstandsmitglied und ICCJ Schatzmeister), Charlotte Knobloch (Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München), Rabbiner Henry Brandt (Jüdischer DKR Präsident), Kardinal Reinhard Marx (Erzbischof von München und Freising und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz), Pfr. Friedhelm Pieper (Protestantischer DKR Präsident)

Weiter Bilder auf der DKR Webseite.

 

 

 

Der vollständige Text des Vortrages von Kardinal Reinhard Marx ist auf der DKR Webseite abrufbar.